HANS J. HOCHRADL

MALEREI

Zu den Arbeiten von Hans J. Hochradl

Dass ein Kunstwerk eine Position der Autonomie beansprucht, dass es sich trotz gegenständlichen Anklängen einer eindeutigen Lesbarkeit entzieht – das sind Aussagen, die fraglos zu den Allgemeinplätzen zeitgenössischer Kunstkritik gehören. Gehalt fließt ihnen erst aus der konkreten Begegnung mit dem Werk zu. Erst die wache rezeptive Haltung vermag solche rhetorischen Schablonen zu beleben, ihnen individuelle Kontur zu verleihen. Die Arbeiten von Hans-Joachim Hochradl sind dazu in hohem Maße prädestiniert.
Es sind Arbeiten, denen eine kritische Haltung zugrunde liegt. Abgerungen einem skeptischen Schürfen, das die künstlerische Arbeitsweise prägt, in ihr zum Ausdruck kommt. Im Atelier vollzieht sich ein intuitiver Prozess. Es geht nicht um Abbildlichkeit, vielmehr werden qualitative Kräfte von Farbe und Form in Bewegung gebracht. Eine bestimmte malerische Setzung zieht eine andere als Konsequenz nach sich. Die Konstellation beider Elemente bedingt ein Drittes. Und dieses erweiterte Zusammenspiel hat wiederum neue (Re-)Aktionen zur Folge. Der hochkomplexe Malvorgang, der durch die Malschichten hindurch bis zum gültigen Endzustand führt, ist damit aber nur schematisch erfasst. Man kann sich diesen Prozess vorstellen als ein dialogisch fragendes, abwägendes Voranschreiten. Der Umstand, dass der Künstler zu Beginn seiner Arbeit die letztendliche Bildgestalt noch nicht fest umrissen im Bewusstsein hat, steht einer dezidierten Bildfindung keineswegs entgegen. Ist doch Hochradls Bildern stets ein ausgewogener, geradezu klassischer Bildaufbau zu attestieren. Dem dynamischen Gleichgewicht bewegter Interaktionen stehen Bildräume gegenüber, in denen eine architektonisch gegliederte, in sich ausgewogene Ordnung herrscht. Oft suggeriert eine seitliche oder untere Begrenzung eine Raumsituation, die das Bildgeschehen situiert.
Die Beschreibung der Bildgenese macht deutlich, dass es sich bei den Ölbildern von Hochradl zumeist nicht um typische Abstraktionen handelt. Jedenfalls nicht in dem Sinn, dass zu Beginn ein mimetisches Bemühen steht und das gegenständlich Eingefangene dann gradueller Verfremdung unterzogen wird. Versteht man unter Abstraktion aber den Zug vom Allgemeinen zum Wesentlichen, kommt man den Arbeiten Hochradls schon erheblich näher. Zumal es nicht ausgeschlossen ist, dass der künstlerische Prozess in einzelnen Fällen auch am Gegenständlichen ansetzt, sich von figuralen Elementen oder von Landschaftseindrücken anregen lässt. Die drei Ölgemälde mit dem Titel „Corpus“ sind aus zeichnerischen Vorstudien entstanden, die sich mit dem menschlichen Torso befassen und die Strenge figuraler Formprinzipien in den Malprozess hineintragen. Ebenso taucht in den neuesten Arbeiten ein landschaftliches Leitmotiv auf: eine markante Reihe ebenso hoher wie schlanker Bäume, die in verschiedenen Kontexten Anklänge an jahreszeitliche Stimmungen oder trügerische Idyllen wecken.
Die Zeichnung bietet Hochradl einen großen spielerischen Freiraum. Doch auch hier verschaffen sich genuin malerische Impulse Geltung. Eine Serie von Kohlezeichnungen ist von einem in die Fläche greifenden Drang nach Verdichtung geprägt. Die sichtbar werdende Dynamik und Vehemenz des Zeichenprozesses treiben die Linie über ihre Grenzen hinaus, nähern die Zeichnung der Malerei an. Interessiert den Künstler hier vorrangig die Visualisierung des eigenen Impetus als Spur und Geflecht, eröffnen sich dem Rezipienten Deutungsangebote, die an dichten Wald gemahnen, an wildes Gewächs, das Durchblicke eher verstellt denn gewährt. Dann gibt es wieder Blätter, in denen Hochradl eine regelrechte Ökonomie der Linie pflegt und zu vergleichsweise lakonischen Resultaten gelangt. Situationen werden aufgerufen, Ereignisse in den Bereich des Möglichen gestellt, die eine prekäre Note haben. Dem Betrachter begegnen labile, unfertige Konstrukte, die sich nicht einmal darüber sicher sein können, welchen Zweck sie womöglich verfehlt haben könnten. Das Verlässlichste an ihnen ist ihre Uneindeutigkeit.
Nicht zuletzt ist die Zeichnung auch dasjenige Feld, auf dem bedeutungsgeladene Objekte ästhetisch durchdekliniert werden. Die Glocke ist ein solches Ding. Ihr Klang mag ein ländliches Idyll grundieren, eine Feuersbrunst vermelden oder das letzte Stündlein kundtun. Der semantischen Vielfalt entspricht die künstlerische Bandbreite, mit der das Thema in immer neuen Variationen behandelt wird. Der Bogen spannt sich von intensivem Materialeinsatz, der das gezeichnete Objekt in vollplastischer Anmutung zur Geltung bringt, bis hin zu sphärischen Umschreibungen, mit denen der Glockenkörper gleichsam von außen her rotierend erfasst und als Negativform er-fahrbar wird.
Stellen die zeichnerischen Arbeiten auf Papier auch die unwillkürlichen Spuren ihrer Entstehung aus, so tritt auf Seiten der Malerei unübersehbar diejenige ‚Topographie‘ in Erscheinung, die dem Anwachsen der Farbschichten geschuldet ist und sich der trocknenden Ölfarbe in Runzeln, Schrunden und Narben einschreibt. Das Material spricht mit, obschon vom Künstler gelenkt. Indem die Werke sich selbst als ästhetische Artefakte ausweisen, den Blick des Beschauers auf ihre eigene Gemachtheit aufmerksam machen, beanspruchen sie Autonomie. Es ist gerade ihre individuelle Verfasstheit, die die elementaren Parameter von Farbe, Form und Linie stets aufs Neue zugänglich macht. Und es ist genau diese qualitative Schnittmenge, in der Werk und Rezi-pient einander auf Augenhöhe begegnen können.

Florian Stegmaier, Januar 2019



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Hans J. Hochradl
Malerei und Zeichnung
73240 Wendlingen